Nach den Sondierungen: FDP setzt sich durch; SPD und Grüne brechen Wahlversprechen

Am 15.10.2021 haben SPD, Grüne und FDP erste Ergebnisse der Sondierungen veröffentlicht. Es sind die rot-grün-gelben Linien für die weiteren Koalitionsverhandlungen. Vor allem die FDP hat sich mit ihren Forderungen durchgesetzt: So werden zum Beispiel die Vermögen der Reichen und Krisengewinner*innen nicht angetastet. Die Vermögensteuer wird nicht kommen. SPD und Grüne brechen damit bereits jetzt – noch vor Beginn der eigentlichen Koalitionsverhandlungen – eines ihrer zentralen Wahlversprechen. Gleiches gilt für die höhere Besteuerung hoher Einkommen. Beide Beispiele zeigen, wohin die Reise insgesamt geht: eine sozial gerechte Gestaltung der anstehenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft – die niemanden zurücklässt und auch sozial benachteiligte Menschen mitnimmt – wird mit den Parteien der Ampel nicht zu machen sein. Stattdessen werden die Kosten auf dem Rücken der Beschäftigten und der Bevölkerungsmehrheit abgewälzt. Zwar wird es ein paar soziale Feigenblätter geben – wie z. B. einen höheren Mindestlohn. Dies wird jedoch von SPD und Grünen durch viele Zugeständnisse erkauft – im Falle des Mindestlohns z. B. durch die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse infolge der Anhebung der Grenzen für Mini- und Midi-Jobs sowie des Zuverdienstes bei Hartz IV (was künftig beschönigend „Bürgergeld“ heißen soll; siehe unten). Zudem soll die gesetzliche tägliche Höchstarbeitszeit aufgeweicht und Arbeitszeiten noch flexibler werden. Für noch mehr Beschäftigte wird „Arbeit ohne Ende“ dann zum Alltag. In anderen Politikbereichen bedarf es solcher Feigenblätter erst gar nicht, da hier SPD und Grüne sowieso auf einer Linie mit der FDP sind. Schlagendes Beispiel dafür ist der geplante Systemwechsel in der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier soll eine Kapitaldeckung kommen, d.h. die Rentenbeiträge sollen künftig an der Börse angelegt werden. Dieses Modell geht u. a. auf den Vorschlag einer sog. Deutschlandrente von Tarek Al-Wazir von den Grünen und der CDU in Hessen 2015 zurück. Mit dem Schlachtruf „Privat vor Staat“ werden so immer mehr Bereiche der Gesellschaft privatisiert. Bürokratieabbau wird versprochen, aber das für die Umsetzung der beschleunigten Planverfahren nötige Personal fehlt dann immer noch.

 

Vorrang für private Investitionen – Absage an Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums

Für die nötigen Zukunftsinvestitionen soll die Schuldenbremse nicht aufgeweicht werden. Stattdessen sollen vor allem private Gelder mobilisiert werden. Einer (auch und gerade aus Gerechtigkeitsgründen erforderlichen) Umverteilung privaten Reichtums in öffentliche Investitionen wird eine klare Absage erteilt. Ohne eine Erhöhung der Steuereinnahmen werden die geplanten Investitionen allein durch eine verstärkte Privatisierung oder ÖPP („Öffentlich-Private Partnerschaften“) möglich werden. Seitens der SPD wurde dies bereits angekündigt: „Viele vergessen, dass es neben allen notwendigen staatlichen Investitionen darum geht, private Investitionen zu mobilisieren“, so Mit-Verhandlungsführerin Malu Dreyer. Dies soll auch über die stärkere Beteiligung von Investmentgesellschaften und anderen privaten Finanzkonzernen (Versicherungen, Banken) gelingen. Damit werden weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens dem anlagesuchenden Kapital und damit der Spekulation geöffnet. Daneben soll die von den Ampel-Parteien versprochene Modernisierung Deutschlands durch eine Entbürokratisierung und Beschleunigung von Verwaltungs‑, Planungs- und Genehmigungsverfahren erreicht werden. Dabei liegt die Ursache für lange Verfahren vor allem in den Personaleinsparungen der letzten Jahrzehnte. Für die Abschaffung umwelt- und klimaschädlicher Subventionen wurde lediglich ein Prüfauftrag ausgegeben, ohne konkret zu werden.

Der Vorrang für privates Kapital soll auch in weiteren Bereichen gelten. Das Wohnungsproblem soll durch „bauen, bauen, bauen“ angegangen werden. Dafür soll ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ mit der Bauindustrie eingegangen werden. 400 000 neue Wohnungen jährlich sollen so entstehen, davon jedoch nur 100 000 öffentlich gefördert. Die aus dem Ruder gelaufenen Bestandsmieten werden nicht angegangen. Sowohl der von SPD geforderte Mietenstopp als auch Mietobergrenzen, wie von den Grünen im Wahlprogramm gefordert, tauchen nicht auf.

 

Was fehlt

Die Rolle des Verkehrsbereichs bleibt komplett ausgespart – sowohl in klimapolitischer als auch sozialpolitischer Hinsicht. Kein Wort dazu, wie mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene gebracht werden soll –obwohl dies klimapolitisch ein zentraler Hebel ist. Ebenfalls kein Wort darüber, wie der Individualverkehr unabhängiger vom Automobil werden soll. Der Ausbau von Schiene und ÖPNV wird nicht erwähnt. Die Forderung nach einem Tempolimit haben die Grünen fallen gelassen. Klimagerechte und bezahlbare Mobilität für alle ist kein Bestandteil dieses Sondierungsergebnisses.

Zwar soll der Ausbau der erneuerbaren Energien angegangen werden. Allerdings gibt es kein Wort dazu, wie die steigenden Energiepreise von Haushalten mit geringen Einkommen geschultert werden sollen. Eine sozial gerechte Energiewende wird mit den Ampel-Parteien nicht möglich sein. Die Mehrkosten für Energie und Sprit dürfen jedoch nicht auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen abgewälzt werden.

Energie ist ein Grundrecht und muss auch für arme Menschen bezahlbar sein. Heizen darf kein Luxus sein. Deshalb fordern wir einen sozial-ökologischen Energiepakt mit Sofortmaßnahmen und längerfristigen Ansätzen. Sofortmaßnahmen müssen sein:

  • Übernahme der tatsächlichen Heizkosten für Menschen im Grundsicherungsbezug.
  • Weiterentwicklung des Wohngeldes: die Heiz‑, Warmwasser- und Stromkostenkomponente muss zu einer Energiekostenkomponente (»Klimawohngeld«) zusammengeführt werden.
  • Verbot von Gas- und Stromsperren für Privathaushalte.

Grundsätzlich müssen die Energiepreise sozial gerechter gestaltet werden. Dafür fordern wir:

  • Preisgünstige Grundkontingente („Sockeltarife“) für den durchschnittlichen Verbrauch von elektrischem Strom, Wasser und Heizenergie. Der haushalsübliche Energieverbrauch wird dadurch für viele Menschen bzw. Haushalte billiger. Ungerechtfertigte Industrierabatte sollen dahingegen entfallen.
  • Ein Mobilitätsgeld als Ausgleich für alle Beschäftigten, die zu ihrer Arbeitsstelle pendeln müssen. Das Mobilitätsgeld ersetzt die bisherige Pendlerpauschale und wird als fester Betrag pro Kilometer Arbeitsweg gezahlt. Er ist für alle gleich hoch ist.

Hartz IV wird weiter bestehen bleiben. Zwar wollen die Ampel-Parteien den Namen ändern und es wohlklingend in „Bürgergeld“ umbenennen. Aber die Disziplinierung der Erwerbslosen („Mitwirkungspflichten“) wird weiterlaufen wie bisher – sie soll lediglich „entbürokratisiert“ werden.

Die Zwei-Klassen-Medizin wird nicht beendet. Die von SPD und Grünen versprochene „Bürgerversicherung“ wird nicht kommen. Auch hier konnte sich die FDP durchsetzen. Die Trennung von gesetzlicher und privater Kranken- und Pflegeversicherung bleibt auch zukünftig erhalten. Ebenso wird die gesetzliche Rentenversicherung – entgegen der Versprechung von SPD und Grünen – nicht zu einer Altersversicherung für alle Erwerbstätigen ausgebaut.

 

 

Hintergrund I: Koalitionsverhandlungen der LINKEN in Berlin

In Berlin führt DIE LINKE seit dieser Woche Koalitionsverhandlungen mit der SPD und den Grünen. Vorhergehende Sondierungen der SPD mit der FDP und den Grünen waren am Widerstand der Grünen und aus Teilen der SPD gescheitert. Die Ampelkoalition hätte 80 der 147 Sitze im Abgeordnetenhaus gehabt, die nun fortgesetzte Koalition hat 92 wie nach der Wahl 2016.

Nach dem Sondierungspapier wird der Vergabe-und Landesmindestlohn auf 13 Euro erhöht. Es soll keine Kürzungen bei der der soziokulturellen Infrastruktur geben. Stattdessen wird die Investitionsoffensive fortgesetzt und werden zusätzlich die Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unterstützt, die von der Corona-Krise am heftigsten getroffen waren, wie etwa mit einem ein deutlich größeren Investitionsprogramm für die Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes. Die notwendigen Kredite, auch die Corona-Kredite, werden mit langen Laufzeiten genommen, damit die Raten den Haushalt möglichst wenig belasten.

Die Investitionsfähigkeit der landeseigenen Wohnungsunternehmen wird gesichert, der Bestand an öffentlichem Boden erhöht und bei allen Neubauvorhaben auch für die notwendige soziale Infrastruktur wie Schule, Kita, Erholungsflächen, Bibliothek usw. gesorgt. DIE LINKE hatte sich als einzige der drei Koalitionspartner immer für eine Vergesellschaftung großer privater Wohnungskonzerne ausgesprochen und den erfolgreichen Volksentscheid dazu unterstützt.

Ein heikler Punkt ist der Umgang mit dem erfolgreichen Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne („Deutsche Wohnen & Co. enteignen“). Die künftige Koalition will dazu laut Sondierungspapier eine Expertenkommission unter Beteiligung der Initiative zur Prüfung der Möglichkeiten, Voraussetzungen und Wege der Umsetzung des Volksentscheides einsetzen. Diese Formulierung wurde auf dem außerordentlichen LPT am 19.10.2021, der die Aufnahme von Koalitionsgesprächen beschloss, im gefassten Beschluss deutlich interpretiert bzw. den Verhandler/innen eine klare Richtschnur mitgegeben: „Für DIE LINKE Berlin ist es zentral wichtig, dass in Umsetzung des Volksentscheids ein Vergesellschaftungsgesetz vorgelegt wird. Eine einzurichtende Expertenkommission soll die Aufgabe bekommen, die Eckpunkte hierzu zu entwickeln“.

(Ein vollständiger Überblick zu den Sondierungsergebnissen https://dielinke.berlin/fileadmin/cw/download/2021/211015_Sondierungspapier-Berlin.pdf )

 

Hintergrund II: Koalitionsverhandlungen der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern führt DIE LINKE seit dieser Woche Koalitionsverhandlungen mit der SPD. In den vorhergehenden Sondierungen wurde bei etlichen Fragen Übereinstimmungen festgestellt: so soll das Vergabegesetz für öffentliche Aufträge zu einem Tariftreuegesetz weiterentwickelt und der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht werden, wenn dieser im Bund entschieden wird. Krankenhausstandorte sollen auch im ländlichen Raum erhalten bleiben und das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden. Ein landesweites Rufbussystem und ein günstiges Bus-Bahn-Ticket für Senior*innen sollen kommen. Außerdem ein Klimaschutzgesetz und der Ausbau von erneuerbaren Energien und Digitalisierung. Kostenfreie Kita wird es weiterhin geben – künftig mit mehr Personal. Die LINKE setzte 1 000 neue Stellen für Lehrer*innen durch. Die SPD pochte auf solide Finanzen. Vereinbart wurden die Einhaltung der Schuldenbremse und die Tilgung der Kredite für Corona-Hilfen ab 2025. SPD-Landeschefin Manuela Schwesig erklärte, nach „guten Gesprächen“ sehe man hier „die beste Grundlage für eine verlässliche, stabile Regierung“. Torsten Koplin, der Co-Landesvorsitzende der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern, erklärte, „wir werden partnerschaftlich regieren“. Er will, dass beide Parteien zusammen „in der Regierungsarbeit brillieren werden“. Eine neue Kultur soll ins Regierungsgeschäft einziehen. Zusammen hätten beide Parteien eine Regierungsmehrheit von 43 der 79 Mandate im neuen Landtag, drei mehr als nötig. (Ein vollständiger Überblick zu den Sondierungsergebnissen https://www.originalsozial.de/politik/aktuelles/detail/news/koalitionsverhandlungen-zwischen-spd-und-die-linke-beginnen/)